Carte Blanche: Simon Grab

Brigitta Grimm02-06-20256 min. Lesedauer

Funk, Ska, Hip-Hop, Dub und Noise – man könnte meinen, zwischen diesen Musikstilen lägen Welten. Doch in einem Gespräch erklärte mir Simon Grab, wie diese Musikstile in seiner Biographie zusammenhängen und was uns an seinem dritten und vierten Carte Blanche-Abend erwartet.

Wenn sich jemand mit Noise und musikalischer Zufälligkeit auskennt, dann der Zürcher Musiker Simon Grab. Pulsierendes Rauschen, Glitches und Knirschen, wummernde Bässe, die tief in Mark und Bein dringen. An Simon Grabs Carte Blanche tun sich ungewöhnliche Welten auf, die mindestens so bewegend wie auch politisch sind. Als Jugendlicher war Simon Grab zuerst Gitarrist in Funk- und Fusionbands, entdeckte dann aber bald, dass in Punk und Hardcore viel mehr Energie steckt und ist so schliesslich beim Ska Punk gelandet. Gleichzeitig begann er auch mit Tonbandaufnahmen und Atari-Computer zu experimentieren, vor allem Zusammen mit Claus Reuschenbach, mit dem er das Duo «Die Bunte Welt der Zimmerpflanzen» gründete. (Hier gibt es eine super interessante Webseite über die frühere Zürcher Musikszene zum Rumstöbern!) In experimentellen Radiosendungen des Radio LoRa gestalteten sie monatliche Kunstradio-Sendungen, die von purem Noise über Collagen bis hin zu Jungle-Sessions oder produzierten Hörspielen reichten. DBWDZ, das durch Ramon Orzer zum Trio wurde, bildete auch das Fundament für ihr eigenes Tonstudio Ganzerplatz. Die elektronischen Beat-Varianten der 1990er wie von Jungle und Trip Hop beeinflussten Simon Grab in dieser Zeit sehr. Allerdings, erwähnt er lachend, hätten die Beats von DBWDZ immer etwas komisch geklungen, weil sie leider nicht dieselben Drum Machines wie etwa andere Produzenten für ihre Beats hatten und gerade erst die ersten erschwinglichen Sampler aufkamen.
Über das Lokalradio kam Grab auch in Kontakt mit der Schimpfluch Gruppe, bestehend aus Dave Phillips, Rudolf Eb.er und Joke Lanz, dem Taktlos-Festival und mit Turntablists, die ihn weiter prägten.
Heute spielt Simon Grab kaum mehr Gitarre, stattdessen hat er sich dem No-Input-Mixing verpflichtet, einer Technik, die auch im Dub verwendet wird. Hierbei speist Simon Grab die Ausgänge eines Mischpults in die Eingänge und da diese Signalwege nie perfekt sind, entstehen irgendwo kleine Störungen, die verstärkt und weiter bearbeitet werden können. Simon Grab bezeichnet dies als «mit Fehlern arbeiten». Je nach Projekt kommen andere Synthesizer oder Beat Machines dazu. Allerdings – und das zieht sich durch jedes seiner Projekte – lässt sich durch dieses zufällige Element kein Song je zweimal gleich aufführen. Jedes Konzert wird somit zu einem einmaligen, unwiederholbaren Erlebnis.
Politische Musik und Zukunftsvisionen
«Mir ist es sehr wichtig, dass ich bei den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, eine gewisse Haltung spüren kann – wobei diese danach auch in die Musik einfliessen kann. [...] Ich sehe es nicht als direkten Vermittlungsauftrag, den ich hätte, aber ich könnte es mir nicht erlauben, in dieser momentanen Situation, in der sich Welt und Gesellschaft befinden, nicht irgendwie Stellung zu nehmen.»
Ein Thema, das ihn besonders beschäftigt, ist beispielsweise das Anthropozän und die Auswirkungen des Menschen auf den Planeten und unsere Umwelt. «Fraktura», ein Stück für Tanz, Live-Visuals und Musik, das im Rahmen des Videoex-Festivals an Simon Grabs erstem Carte Blanche-Abend aufgeführt wurde, kann man auch sehr apokalyptisch lesen. «Aber das nur bis zu dem Punkt, an dem man sich überlegen muss, wie unsere Ressourcen denn ausgebeutet werden.»
Eine andere Art der Zukunftsvision zeigt sich hingegen in einem etwas älteren Projekt, dem Hörspiel «Hirnmusik» (2015). Die Kernfrage dieser Recherchearbeit und dieses transdisziplinären Projekts war, so Simon Grab: «Wie können wir auditive Imagination und kreative Prozesse brauchen? Wir Menschen können uns Sound vorstellen und dies auf sehr unterschiedliche und unterschiedlich präzise Art und Weise. Mich wunderte es, wie Künstler*innen in kreativen Prozessen damit umgehen. Auch ein Themenkomplex bildete sich rund um die Hirnforschung: Wir können uns etwas Vorstellen, beispielsweise einen Song, oder etwas im Kopf komponieren. Gibt es eine Möglichkeit das auszuspielen und aufzunehmen?» Noch gibt es keine tatsächliche Lösung auf diese Frage, aber wer weiss, wie bald das vielleicht möglich sein wird... Das Hörspiel sowie die zahlreichen von Simon Grab geführten Interviews kann man hier nachhören.09.02.2025: Simon Grab & David Meier – Album Release «Porœs» (-OUS Records)
An seinem dritten Carte Blanche-Abend trifft Simon Grab auf den Schweizer Drummer David Meier, den man etwa von Bands wie Schnellertollermeier oder Hunter-Gatherer kennt. Einige der ersten musikalischen Begegnungen zwischen ihm und Simon Grab fanden im Proberaum statt, wo sie nicht nur zusammen spielten, sondern das frisch Entstandene direkt aufnahmen. Das Ergebnis: Ihr vielversprechendes, hochenergetisches Album «Porœs», das aus diesen Aufnahmen entstanden ist und am 7. Februar auf -OUS Records erscheinen wird. Hier ein kleines Amuse-Bouche vorab:
09.02.2025: errad0 – New Project Premiere
Am 9. Februar wird nicht nur eine neue Platte getauft, sondern auch ein neues Duo zelebriert: Mit errad0 schliesst sich Simon Grab neu mit dem Brasilianischen Musiker Antigo zusammen. Die selbst verliehene Genre-Bezeichnung «Proibidão Industrial Funk Carioca Experimental» lässt aufhorchen.
Ein kurzer Exkurs: Proibidão bedeutet so viel wie «streng verboten» und ist ein Subgenre des brasilianischen Funk Carioca. Die Songs behandeln das Leben in den Favelas und sind Lobeshymnen auf die lokalen Gangs von Rio de Janeiro, die sowohl die Quartiere kontrollieren als auch dafür schauen, dass Menschen sozial aufgefangen werden, erklärt Simon Grab. «Bei den Bailes» – das sind Parties, die an selbst gebauten Soundsystems stattfinden – «sieht man zum Teil Mitglieder der lokalen Gang, die mit einem Sturmgewehr in der Hand durch die Menge hindurchgehen.» Es sei sowohl ein Zeichen gegenüber der Polizei als auch ein Präsenz zeigen gegenüber dem Quartier, etwa als kontrollierende wie auch schützende Instanz.
Antigo lässt sich von diesem Proibidão inspirieren und setzt seine eigene Interpretation dessen um. Seine Texte handeln von lokaler Gewalt, der Präsenz von Waffen, einem nicht funktionierendes System und nicht funktionierende Infrastrukturen. Simon Grab erzählt: «Er ist einerseits MC, andererseits auch bildender Künstler. Er malt vor allem und versucht damit, gewisse Sachen zu verarbeiten. Man sieht auch auf seinen Bildern etwa auf Schleifpapier aufgemalte Maschinengewehre. [...] Das nimmt er mit in seine Energie und in seine Texte. Und das trifft sich sehr gut mit meinen Sounds.»
03.04.20205: Yao Bobby x Simon Grab feat. Freeky (aka Nathalie Fröhlich)
Ihre Freundschaft reicht schon 18 Jahre zurück und nahm ihren Anfang in Ouagadougou, als Simon Grab für Theater- und Musikproduktionen und Yao Bobby zur selben Zeit für ein Hip-Hop-Festival dort war.
Yao Bobby ist afrofuturistischer Rapper und bildender Künstler und pionierte den afrikanischen Hip-Hop in den 1990er-Jahren als Teil einer Hip-Hop-Gruppe aus Togo, die wiederum Teil einer panafrikanischen Hip-Hop-Bewegung war. Diese schuf wichtige politische Netzwerke in Westafrika, aus denen etwa Sankara-Bewegungen wie Le Balai Citoyen gegen den Präsidenten Blaise Compraré in Burkina Faso entstanden. Auch heute noch nutzt Yao Bobby die Musik als aktivistisches Medium: «Man spürt eine Dringlichkeit in seinen Texten», so Simon Grab, «sie sind sehr politisch. Manchmal verpackt er sie etwas mehr oder weniger in Geschichten, Metaphern.» Auch wenn sie noch so gut verpackt sind: Gerade wegen diesen politischen Messages habe Yao Bobby schon öfter Probleme mit dem autoritären Regime Togos gehabt. Darum lebe Yao Bobby heute eher unter dem Radar.
Die in Lausanne lebende Rapperin Nathalie Fröhlich, die an diesem Abend auch dazustossen wird, rappt über House-Grooves und Techno-Beats und rüttelt seit einiger Zeit zunehmend die Schweizer Musikszene auf, bricht Konventionen und begeistert Menschen über die Sprach- und Landesgrenzen hinaus. Unter ihrem Pseudonym «Freeky» wagt sie sich jetzt noch weiter in die experimentellen Gefilde.
03.04.2025: SignupSignup, Zainab Lascandri, kennt man vor allem als eine Hälfte des Duos None of Them und auf der Bühne mit Big Zis, sie ist aber auch im Performance- und Theaterbereich aktiv. An diesem vierten und letzten Carte Blanche-Abend präsentiert sie ihre Soloperformance. Wir sind schon gespannt!

Simon Grabs Carte Blanche-Abende

  • Carte Blanche

    Simon Grab – Album Release «Porœs» (-OUS Records)

    • Simon Grab & David Meier

      Electronic / PartyExperimentalElectronic
  • Carte Blanche

    Simon Grab – New Project Premiere

    • errad0

      Experimental
  • Carte Blanche

    Simon Grab

    • Yao Bobby x Simon Grab feat. Freeky (aka Nathalie Fröhlich)

      ExperimentalRap / R'n'B / BrassElectronic / PartyRapElectronic
  • Carte Blanche

    Simon Grab – Videoex im Walcheturm

    • Fractura

      ExperimentalElectronic / PartyElectronic
  • Carte Blanche

    Simon Grab – im Kunstraum Walcheturm

    • Simon Grab feat. Yao Bobby

      ExperimentalElectronic / PartyElectronic
  • Carte Blanche

    Simon Grab – im Kunstraum Walcheturm

    • Dhangsha

      ExperimentalElectronic / PartyElectronic

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