Carte Blanche: Victoria Mozalevskaya

Brigitta Grimm03-25-20255 min. Lesedauer

Victoria Mozalevskaya gehört zu den neun Künstler*innen, die vom Moods eine Carte Blanche für die Saison 24/25 erhalten haben. Die Carte Blanche wird an herausragende Musiker*innen der Schweizer Jazzszene vergeben und bietet ihnen die Möglichkeit, ihr aktuelles Musikschaffen weiterzuentwickeln und Neues auszuprobieren. Auch Victoria Mozalevskaya gründete im Rahmen ihrer Carte Blanche zwei ganz neue Projekte und erzählt in einem Gespräch davon, wie es dazu gekommen ist.

Victoria Mozalevskaya hat eine beeindruckende Reise hinter sich: In Kasachstan aufgewachsen, zog sie als Teenager nach Russland, um ihre musikalische Ausbildung zu verfolgen, und später dann in die Schweiz, die sie seither ihr Zuhause nennt. Victoria Mozalevskaya erzählt lachend: «Ich bin schon mit fünfzehn oder sechzehn Jahren zu meiner Schwester in eine andere Stadt gezogen. Und wenn ich meine Kinder sehe, denke ich ‹Was? Mit fünfzehn schon? So jung?›»
Mozalevskayas musikalische Wurzeln liegen zwar in der Klassik, doch die Faszination für Jazz – insbesondere den Contemporary Jazz – führte sie damals auf einen neuen Weg. «Von der klassischen Sprache in die des Jazz zu wechseln, war hart. Der Rhythmus der klassischen Musik ist binär, der des Jazz ist ternär – das muss man üben, viel zuhören, analysieren, ausprobieren.»
Sibirien – San Francisco – Bern – New York
Ihre Ausbildung führte sie dann zuerst nach Novosibirsk. Dort erhielt sie eine unerwartete Möglichkeit. Als eine von acht Student*innen aus ganz Russland wurde sie nämlich für ein Austauschprogramm auserwählt, das die Studierenden nach Washington und San Francisco brachte. «Das war sehr inspirierend, eine tolle Stadt – und es hat mich dazu angetrieben, weiterzugehen.» In San Francisco erfuhr sie auch zum ersten Mal vom San Francisco Jazz Collective (ein All Star-Ensemble geleitet von Chris Potter), das sie nun wiederum dazu inspirierte, das Zürich Jazz Kollektiv zu gründen. Obwohl es ihr Traum war, einmal in Amerika zu leben, war dies aber noch die Zeit, um in den Staaten zu bleiben. «Das wäre schon krass gewesen, von Sibirien direkt nach Amerika umzuziehen, einmal um die ganze Erdkugel.» Darum entschied sie sich für einen anderen Weg. Mit 21 Jahren wechselte sie an die Hochschule der Künste Bern (HKB). Der Grund, warum sie sich für ein Studium in der Schweiz entschieden habe, sei vor allem ein pragmatischer gewesen, erklärt Victoria Mozalevskaya: Sie kannte bereits Studierende an der HKB und es habe zeitlich gerade gepasst. Nach ihrem Bachelor-Studium in Bern wagte Mozalevskaya dann den endgültigen Sprung über den grossen Teich nach New York. «Ein Jahr in New York ist wie zehn Jahre irgendwo anders – so viele Auftritte, so viele Möglichkeiten, aber auch so viele Herausforderungen», erzählt sie begeistert. Das Jahr, das Mozalevskaya nach ihrem Bachelor-Studium in New York verbrachte, sei eine der prägendsten Zeiten in ihrer musikalischen Karriere gewesen. «Der Lebensstil und die Intensität der Stadt… in einem Jahr habe ich so viel gespielt, wie sonst in fünf Jahren irgendwo anders. Jeden Abend gab es irgendwo eine Möglichkeit zu spielen, auch wenn die Gig oft schlecht bezahlt wurden. Aber die Erfahrung war wahnsinnig.»Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz und dem anschliessenden Masterstudium sei erst einmal etwas Ruhe eingekehrt, sie habe das Erlebte erst einmal einordnen und verarbeiten müssen. Mit ihrer Familie in Zürich hat sie ihre künstlerische Basis gefunden, kreiert nun Musik mit tiefen persönlichen Bezügen und schafft auch immer wieder Rückbezüge auf Erlebtes und die gesammelten Erfahrungen.
FRAME.OUT: Aus festgesetzten Rahmen ausbrechen
Das erste Carte Blanche-Konzert der Saxophonistin fand bereits vergangenes Jahr am 23. Mai mit ihrem frisch gegründeten Projekt FRAME.OUT statt. «Mein erstes Projekt FRAME.OUT handelt von diesen ‹Frames› in denen man denkt und sich bewegt. Das sind Muster, Einstellungen, die man als Kind erlernt hat... aus der Sowjetunion, aus Russland, aus Kasachstan, aus meiner Familie... die aber irgendwann nicht mehr funktionieren. Und dann muss man sich neu orientieren.» Dann müsse man raus aus alteingesessenen Vorstellungen, neue Rahmen finden, in denen man sich bewegen möchte – «und erst dann kann man frei sein.»Die Besetzung wählte sie aus persönlichen Kontakten aus: «Das ging sehr schnell und spontan. Das Konzept hatte ich bereits im Kopf und ich habe die Leute ausgewählt, mit denen ich unbedingt zusammen spielen wollte.» Victoria Mozalevskaya bewundert etwa Song Yi Jeon Stimme und berichtet: «Das war auch etwas ganz neues für mich, Texte zu schreiben und nicht nur Noten.» Das Duo von Lada Obradovic und David Tixier, das inzwischen internationalen Erfolg feiert, habe sie wiederum an der HKB kennengelernt.Auf unserer Streamingseite könnt ihr das Konzert nachschauen:
6. April 2025: Zürich Jazz Kollektiv
«Seit ich in Zürich bin, merke ich, dass ich mich zuhause fühle… Ich schätze die Zürcher Jazzszene, wie man gemeinsam an Projekten arbeitet. Ich wollte deshalb ein Projekt für die Szene hier machen.» Als grosser Fan des Contemporary Jazz, von Bebop, Hardbop bis zu Modal Jazz, seien ihr immer wieder Beispiele solcher Kollektive aufgefallen, die als «Forschungsplattformen» fungieren, diese Stilrichtung pflegen und weiterentwickeln. «Hier in der Schweiz hat man klassischerweise eine Big Band, aber dann handelt es sich eben um eine sehr spezifische Besetzung und vor allem um das Spielen von Kompositionen. Und da meine Passion vor allem die Improvisation ist, wollte ich eine grössere Besetzung haben, in der man Dinge ausprobiert und einen Raum für die Improvisation im Rahmen des Contemporary Jazz kreiert.»Die Kompositionen stammen in dieser ersten Ausgabe vor allem aus Victoria Mozalevskayas Feder. Inspiriert wird sie vom Leben, wie sie selbst sagt: «In meiner Musik, die ich fürs Zürich Jazz Kollektiv schreibe, basiert Vieles auf den Erfahrungen, die ich als Musikerin und als Frau gemacht habe, aber auch der Krieg – heute wie früher – oder Erinnerungen an die Sowjetunion.» Vor allem letztere kamen bei ihr bei einem Besuch in Berlin hoch. Um dies zu verarbeiten, schrieb sie die Komposition «Echoes of Berlin», die sie auch mit dem Zürich Jazz Kollektiv am 6. April präsentieren wird.Das ZJK soll aber keine Eintagsfliege sein. Mozalevskaya sieht ihre Kompositionen als Basis für das ZJK-Repertoire, sagt aber auch: «Die Idee ist, später das Repertoire zu erweitern. Je nach Zusammensetzung des Kollektivs vielleicht auch mehr Improvisationen als Kompositionen zu spielen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir weiter daran arbeiten und das weiterentwickeln können.» Auch soll es nicht nur ihr Projekt sein: «Klar, bin ich die, die es initiiert hat und die es am Anfang leitet, aber es ist nicht so, dass es mir gehört. Wenn jemand es weiterentwickeln will, soll das möglich sein. Es ist nicht etwas, das fix ist. Es lebt.»

Victoria Mozalevskayas Carte Blanche-Konzerte

  • Carte Blanche

    Victoria Mozalevskaya

    • Zürich Jazz Kollektiv feat. Alex Sipiagin

      Jazz Modern CreativeJazzContemporary Jazz