Ashley Henry – Wie wichtig es ist, sich selbst zu sein

Christof Thurnherr03-19-20253 min. Lesedauer

Er ist mitten in der Szene Grossbritanniens, dabei aber auch immer auf Tuchfühlung mit der Tradition und den aktuellen Entwicklungen jenseits des Atlantiks. Für Ashley Henry ist die Verbindung der eigenen Herkunft mit der Musik von heute und dem Jazz von damals kein Widerspruch.

Grossbritannien war in der Geschichte des Jazz immer wieder ein Ort, an dem sich Spezielles entwickelte. Wie im Buch «Unapologetic Expression» des britischen Szene-Kenners André Marmot ausführlich beschrieben, hallt im Jazz des Vereinigten Königreichs dessen spezifische kulturelle Vergangenheit nach, was zu neuen Formen mit einem klar erkennbaren Klang führt.
««Mich interessiert eigentlich nicht, ob ich britischen oder US-amerikanischen Jazz mache»»
Ashley Henry
So einleuchtend diese These auch erscheinen mag, der Nutzen einer allzu starken Betonung eines transatlantischen Divides ist fraglich. Viel spannender sind die Beispiele, in denen die Tradition und eine ganz persönliche Geschichte gleichberechtigt nebeneinanderstehen. «Mich interessiert eigentlich nicht, ob ich britischen oder US-amerikanischen Jazz mache», erklärt der Pianist Ashley Henry. «Natürlich klingt meine Musik nach meiner Herkunft. Aber von wirklichem Interesse ist doch das, was jemand mit seiner Musik ausdrückt. Diesbezüglich zählen die Übereinstimmungen mehr als die Unterschiede.»Henrys persönliche Geschichte ist distinkt britisch, darüber hinaus zusätzlich geprägt von der Diaspora und spezifisch schwarz. Seine Inspiration, Musiker zu werden, wurde durch die Welle des neuen britischen Jazz in den späten 1980er-Jahren ausgelöst. Er wuchs auf mit der Musik der Karibik, interessierte sich für den Sound der Strasse und besuchte einen Lehrgang an der Royal Academy of Music. Er nahm an internationalen Wettbewerben teil und wurde von Silvertone, einem Subsidiary von Sony Music, entdeckt. Auf eine erste EP folgte nur wenige Monate später die Platte «Beautiful Vinyl Hunter» mit erster internationaler Beachtung. «Das Ganze entwickelte sich eher organisch: Es passierte einfach, ohne grosse Anstrengung. Das hört man meiner Musik, glaube ich, auch an.»Dass sein Weg zu internationaler Bekanntheit über die USA führte, sei für ihn nebensächlich. «Es ging mir um das Setting und dass ich mit den Musikern zusammenspielen konnte, die ich schätze – sowohl mit solchen aus den UK als auch anderswo.»Zu den Kollaboratoren seiner ersten Jahre zählten Terence Blanchard, Jean Toussaint, Robert Glasper und Makaya McCraven, alles Vertreter einer zwar US-amerikanischen, aber gleichzeitig jungen und offenen Szene. Wichtiger als die geografische oder soziopolitische Herkunft sei das musikalische Grundverständnis gewesen – die Black Music. «Egal, in welcher Form sich die Musik heute äussert – ob als Hip-Hop, Jungle oder Grime –, das alles kommt doch von den gleichen Ursprüngen: vom Blues und vom Soul. Wenn es heute anders klingt, dann sind das höchstens andere Interpretationen derselben Quellen. Beim Jungle ist das doch ganz offensichtlich: Er ist nichts anderes als frisierter [sped up] Soul.»
««Dizee Rascal war für meinen persönlichen Weg zum Musiker viel wichtiger als all die Giganten des Jazz»»
Ashley Henry
Allerdings ist nicht nur das Verständnis der Geschichte der Musik wichtig. Ebenso zentral sei es, dass es im Jazz darum gehe, sich selbst auszudrücken. Dies entdeckte Henry interessanterweise nicht im Jazz, sondern im Grime. «Dizee Rascal, dessen Platte ’Boy in the Corner’, war für meinen persönlichen Weg zum Musiker viel wichtiger als all die Giganten des Jazz. Es war nicht der Stil oder der Klang, sondern die Aussage. Diese Platte trichterte mir ein, wie wichtig es ist, dass ich mich selbst ausdrücke.»Von Grime und Jungle und Hip-Hop ist in Henrys Musik heute nicht viel zu hören. Dagegen schwingen in seinen Stücken Soul und R’n’B mit. Und auch eine Portion traditioneller Jazz, sehr eindrücklich im Cover von Nina Simones «Mississippi Goddam». «Wow, ja, das lag für mich nicht auf der Hand ... Ich wurde angefragt, ob ich das Stück für eine Fernsehserie covern wollte. Zuerst zögerte ich, denn es gibt so Stücke, zu denen eigentlich nichts beizutragen ist. Mit der Zeit wurde mir dann aber klar, dass das, was Nina Simone da singt, noch immer – und gerade auf die Situation in Grossbritannien – zutrifft.»Jazz war schon immer eine Musik, in der alle möglichen Geschichten Platz fanden. Er ist eine Musik des Kontakts und des gegenseitigen Austauschs. Und je gleichwertiger alle möglichen Einflüsse vertreten sind, desto spannender wird das, was dabei herauskommt.Christof Thurnherr, jazz'n'more

Dieser Artikel erschien in der März/April 2025-Ausgabe des Jazz'n'more-Magazins. Mehr Infos & Abos: jazznmore.ch

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