Carte Blanche: Lucas Niggli

Brigitta Grimm09-19-20246 min. Lesedauer

In einem Gespräch erzählt Lucas Niggli vom Spiel mit Karten, von Feuer und Volldampf, seinen Verbindungen zur Klassik und dem Suchen und Finden des eigenen Klangs.

An den vier Konzertabenden des Zürcher Drummers wird's glühend heiss. Ob frei improvisierend oder mit hochkomplexen Partituren, in einem vielseitigen Programm präsentiert Lucas Niggli vier seiner Herzensprojekte im Moods und in der Photobastei. Alle vier Abende tragen die Überschrift «GLUT». Diese stehe für Leidenschaft, Enthusiasmus, Furor und Feuer, erklärt er. «Es ist alles hochenergetisch, es ist hot. Es ist definitiv nicht cool. Es ist fordernd, intensiv – und damit meine ich gar nicht die Lautstärke, aber die Musik hat eine glühende Intensität. Und Glut ist etwas so Schönes.»
Schlagzeug ist nicht gleich Schlagzeug
Ein Leben in und mit der Musik wurde Lucas Niggli regelrecht in die Wiege gelegt: Die klassische Musik war in seinem Elternhaus ein früher musikalischer Bezugspunkt für den Zürcher Drummer, einer, der ihn auch in seinem Jazz Drumming stark beeinflusste.
Als Schlagzeuger sei es einfach, sich seinen eigenen wiedererkennbaren Klang zu selektionieren, so Lucas Niggli, indem man seine eigenen Kessel, Felle, Sticks oder Becken wählt. Doch so sehr ihn die Rhythmik und Komplexität des Jazz Drummings begeisterte, sah er den Faktor Klangfarbe immer etwas vernachlässigt – anders als in der Neuen und zeitgenössischen Musik. «Das [Jazz-Schlagzeug] ist eine Rhythm Machine und das ganze Melodische, der Klangfarbenreichtum, die Vielfalt fehlte mir.»
Also verfolgt Lucas Niggli seither das Ziel, diese Welten zusammenzubringen, Farben aus verschiedenen geographischen Regionen, aus der europäischen klassischen oder mittelalterlichen Musik. «Darum habe ich mich sehr früh für andere Kulturen interessiert, […] immer wieder diese Farben und auch die anderen Stimmungen gesucht und versucht, diese Klänge in mein Drum Set zu integrieren. Und ich war jahrelang und ich bin heute noch ein Jäger und Sammler spezieller Klänge, die ich dann in mein Schlagzeig integrieren kann.»
Spannende Kombinationen findet er auch in der Wahl seiner Ensemble-Partner*innen: Etwa mit Aly Keïta am Balaphon, mit Matthias Loibner an der Drehleier (deren englischer Name «Hurdy Gurdy» unschlagbar ist) oder Xu Fengxia am Guzheng und Sanxian. Lucas Niggli sieht die Musik dabei immer als Dialog und vermeidet es, seine Gesprängspartner*innen bloss zu imitieren. «Ich habe mit so vielen Musikerinnen und Musikern zusammengespielt [...], die ihre Sprache haben und ich habe meine Sprache, [...] und das hat funktioniert.»
Lucas Nigglis Carte Blanche im Moods
03.10.2024: GLUT1 – Steamboat Switzerland
Lucas Niggli startet mit Volldampf in seine Carte Blanche Reihe und das mit einem seiner ältesten Projekte. Die Band Steamboat Switzerland, gibt es nämlich schon seit fast 30 Jahren – im kommenden Jahr feiern sie ihr Jubiläum.
Die Band, die inzwischen zu einer regelrechten Institution geworden ist, entstand ursprünglich, so Lucas Niggli, «aus dem Bedürfnis, hochkomplexe virtuose zeitgenössische Musik mit der Energie und mit der Kraft und dem Soundbild einer Rockband zu spielen.» Sozialisiert mit PAs, mit lauter Musik, inspiriert von elektronischer Musik und den Anfängen der Raves fehlte dazu allerdings die passende Literatur. «Wir haben einfach angefangen, Werke bei genialen Komponistinnen und Komponisten in Auftrag zu geben. Und so haben wir mittlerweile ein beachtliches Repertoire und eine lange Liste an Kollaborationen.» Somit gehören Steamboat Switzerland zu den Pionieren dieses Sounds. Am 3. Oktober werden sie fünf solche Kompositionen aufführen, die allesamt diese komplexe zeitgenössische Musik mit Rock-Ästhetik samt wilden Polyrhythmen und Taktwechseln aufweisen. «Das blast dich weg!»
26.10.2024: GLUT2 – Club Night in der Photobastei mit 60° Alliance, Zagara und Yuul
Eigentlich kennen sich die drei Herren ja schon eine ganze Weile, denn das Niggli-Trio besteht aus Lucas und seinen Söhnen Gaudenz und Felix. Gegründet wurde die Band aber erst im langen Winter 2019. Und die drei Musiker streuen eine gehörige Portion Groove ins Alltags-Getriebe: Gaudenz Niggli dreht Big Beats, Drones, heavy Flirr-Sounds und zauberhafte Field-Recordings durch den Musikwolf. Felix Niggli findet immer wieder überraschende Melodielinien dazu, während sich Lucas Niggli mit Händen und Füssen um Kopf und Kragen spielt. Groove und Sounds werden pulverisiert und neu zusammengebaut. Mit Zagara und Yuul tanzen wir dann bis tief in die Nacht hinein.
06.03.2024: GLUT3 – Jordina Millà – Barry Guy – Lucas Niggli
Barry Guy und Lucas Niggli verbindet eine langjährige Freundschaft. «Er verkörpert für mich den idealen Musiker», meint Lucas Niggli bewundernd. So ist Barry Guy sowohl Bassist in diversen Projekten, hat aber auch in vielen klassischen Ensembles gespielt, wie etwa im renommierten von Sir John Eliot Gardiner gegründeten Orchester English Baroque Soloists. Barry Guy ist also wärmstens mit dem historischen, komponierten Repertoire vertraut, begann aber auch schon sehr früh sich mit der freien Improvisation auseinanderzusetzen und wurde schliesslich zu einer der zentralsten Figuren der Freien Szene nebst Mitmusiker*innen wie Irène Schweizer, Tony Oxley oder Evan Parker.
1970 gründete Barry Guy das London Jazz Composers Orchestra. Für dieses komponierte er viele Stücke in denen sich orchestrale, komponierte Teile mit Free Jazz-Improvisationen abwechseln. Er war also einer der ersten, der an diesen neuartigen Arrangements für Grossformationen tüftelte. «Er gehört definitiv zu dieser ganz, ganz grossen innovativen europäischen Generation von Musikerinnen und Musikern, die sich zwischen Jazz und Komposition, die zwischen freier Musik und notierter Musik bewegen. Und er ist für mich eigentlich einer der allerwichtigsten Lehrer. Ich habe so viel gelernt von ihm», so Lucas Niggli. «Er ist ein wahnsinnig guter Handwerker auf seinem Instrument. Er ist ein kompletter Musiker, hat einen unglaublichen Forschungs- und Lerndrang. Und für mich ist er eine irrsinnige Inspiration.» Als Principal Drummer ist Lucas Niggli in fast allen Bands von Barry Guy mit dabei. So lag es nahe, dass Lucas ihn auch für seine Carte Blanche ins Moods einladen würde. An diesem Abend vervollständigt Jordina Millà das Trio. Die junge Pianistin stammt ursprünglich aus Barcelona und lebt zur Zeit in Salzburg. Das Trio ist allerdings eine Première: Jordina Millá ist die eine Studentin des Pianisten Augustí Fernández, mit welchem Barry und Lucas schon oft zusammen aufgetreten sind. Erst gerade kürzlich ist eine Duo-Platte von Jordina und Barry auf ECM erschienen. Ihre Kompositionen, sowie auch jene von Barry Guy werden an diesem Abend zu hören sein.
17.04.2025: GLUT4 – Lucas Niggli Tomorrow Tribal Quartet
Vier Musiker – Schlagzeug, Keys, Saxophon und noch mehr Schlagzeug – und zwischen ihnen steht ein Tisch, auf dem ein eigenartiges Kartenspiel gespielt wird. Im Spiel geht es um unübersetzbare Begriffe, also Worte, die in ihren Sprachen wunderbar poetisch sind, die es im Deutschen so aber nicht gibt und die wir umschreiben müssen: «Ukiyo», japanisch für «im Augenblick lebend», oder «Kephaloporosis», altgriechisch für einen zumeist temporären Zustand geistiger Verwirrtheit nach intensivem Stress. «Mich hat das fasziniert», erzählt Lucas Niggli, «denn gute Improvisatorinnen und Improvisatoren haben eine individuelle Sprache, die du eigentlich kaum notieren kannst als Komponist. Wie soll ich Gilles Grimaître, Brian Archinal und Sascha Armbruster auf Papier schreiben, was sie auf ihren Instrumenten zu spielen haben? Das kann kein Komponist.» Auf einer Spielkarte – einer «Motivkarte» – steht also dieser unübersetzbare Begriff und ebenso ein damit zusammenhängendes, abstrakt beschriebenes musikalisches Motiv. Jeder Musiker besitzt einen Kartensatz und kann jederzeit eine solche Karte werfen und somit einen Einsatz bestimmen. Die Umsetzung variiert je nach Instrument, der Gesamtklang der Band je nach Spielverlauf; der Ausgang des Spiels ist jedes Mal ein neuer, unerwarteter.

Carte Blanche Lucas Niggli: Die Konzerte in der Übersicht

  • Steamboat Switzerland

    Lucas Niggli – GLUT1

    • Experimental
    • Pop / Rock / Singer / Songwriter
    • Experimental Jazz
    • Rock
  • Carte Blanche

    Lucas Niggli – GLUT2: Club Night in der Photobastei

    • 60° Alliance

      Electronic / PartyJazz Modern CreativeElectronicPartyNu-JazzElectronic Jazz
  • Carte Blanche

    Lucas Niggli – GLUT2: Club Night in der Photobastei

    • Zagara

      Electronic / PartyElectronicParty
  • Carte Blanche

    Lucas Niggli – GLUT2: Club Night in der Photobastei

    • Yuul (Regula Rec)

      Electronic / PartyElectronicParty
  • Carte Blanche

    Lucas Niggli – GLUT3

    • Millà – Guy – Niggli

      Jazz
  • Carte Blanche

    Lucas Niggli – GLUT4

    • Tomorrow Tribal Quartet

      JazzContemporary Jazz

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