Der Tanz von Heiligem und Profanem

Adrian Schräder02-18-20246 min. Lesedauer

Eine Einladung zu kollektiver Trance: Bald wird im Moods brasilianischer Karneval gefeiert. Uns erklären Sängerin Dandara Modesto von der Banda Tropikaos, das Samba-Coletivo Gira sowie Veranstalterin Alyne Silva was der Brauch für sie bedeutet.

Wie haben Sie dieses Jahr den Karneval verbracht?
Alyne Silva:
In der schwärzesten Stadt ausserhalb des afrikanischen Kontinents, in Salvador do Bahia. Ich wollte zum dritten Mal Baiana System zu erleben, eine Bewegung, die den Karneval in Brasilien revolutioniert – und an der Parade des Afro-Blocos Ilê Aiyê teilnehmen, der 50 Jahre Widerstand und Schönheit feiert.
Dandara Modesto: Mehrheitlich zuhause, zusammen mit meiner Tochter, mit dem Hören von brasilianischer Karnevalsmusik. Wir haben uns auch einige Karnevals aus verschiedenen Teilen Brasiliens angeschaut: Afro-Blocos aus Salvador, die Parade der Sambaschulen in Rio de Janeiro und São Paulo, oder Maracatus und Galo da Madrugada in Pernambuco. Zum Einstimmen besuchten wir die Kinderfasnacht auf dem Bullingerplatz, wo mit Borumbaia auch eine Batucada Gruppe aus Zürich aufgetreten ist. Dass der Karneval auch die Energien der Kinder freisetzt, war schön zu spüren!
Coletivo Gira: Wir haben die meiste Zeit des Karnevals damit verbracht zu arbeiten und den Rest damit, uns auszuruhen. Uns erwartet in dieser Zeit immer eine Menge Arbeit. Wir versuchen, Spass zu haben, während wir arbeiten.
Was bedeutet Karneval für Sie?
Dandara Modesto: Freiheit. Traum. Kreativität. Ruhe. Magie. Die Macht des Kollektivs. Der Karneval hat eine tiefe kulturelle und historische Bedeutung. Er ist der Tanz von Heiligem und Profanem. Es ist ein afro-indigener Ausdruck von Reichtum und Vielfalt. Er ist auch politisch: Der Karneval ist seit jeher eine Plattform für sozialen und politischen Aktivismus, wobei afro-brasilianische und indigene Gemeinschaften nutzen das Fest als Mittel des Widerstands, der Ermächtigung und der kulturellen Bejahung. Es ist eine Zeit, in der Menschen zusammenkommen, um ihren Glauben an das Leben auszudrücken.
Coletivo Gira: Der Karneval ist ein Fest, das die Identität des brasilianischen Volkes stark geprägt hat. Es gibt ein Sprichwort, das besagt: «Der Brasilianer hat den Karneval nicht erfunden, aber der Karneval hat den Brasilianer erfunden». Er steht für Freiheit, für das Profane, für Freude, aber auch für Protest. Der Karneval ist ein bisschen von all dem.
Alyne Silva: Karneval hat etwas Heilendes. Er hat die Kraft, ein freiheitliches Gefühl zu erzeugen und gemeinsam Freude zu erleben. Der brasilianische Karneval ist wahrhaftig eines der grossen Symbole unserer Einzigartigkeit als Volk.

Wie hört sich Karneval an?
Coletivo Gira: Nach Spass.
Alyne Silva: Nach dem Trommelschlag auf den Strassen und dem Herzschlag in den Stimmen. Ein riesiges Orchester aus Menschen, eine synästhetische, berauschende und spektakuläre Mischung.
Dandara Modesto: Nach dem Puls von Samba, Maracatu, Frevo, Samba-Reggae, Axé, Ljexá, Ciranda, Pagodão und Funk. Nach Sprechchören! Nach dem Gesang von Hunderttausenden von Menschen, die gemeinsam singen.
In Zürich findet die die brasilianische Karnevalsfeier erst am 24. Februar statt. Darf man dann überhaupt noch Karneval feiern?
Coletivo Gira: Kein Problem. Wir feiern in Brasilien auch oft ausserhalb der Saison Karneval und niemand beschwert sich.
Dandara Modesto: Wie gesagt: Der Karneval ist ein Tanz von Heiligem und Profanem. Er spielt sich jenseits jeder Erlaubnis ab. Ich würde sogar sagen, dass es die Feier hier dringend gebraucht wird. Es ist ein Ort, um das Leben zu feiern, sich freizumachen, mit guter Musik, mit Freude und Glitzer!

Was ist die Geschichte dieses Events?
Alyne Silva:
Ich habe den Verein Adalu 2017 gegründet. Die erste Ausgabe des Tropikaos Carnaval fand 2018 im Provitreff statt, mit dem Ziel, die Vielfalt des brasilianischen Karnevals auf Schweizer Boden zu feiern. Ich wollte damit Nicht-Brasilianern zu zeigen, wie reich an Vielfalt der brasilianische Karneval ist. Die Veranstaltung ist von Jahr zu Jahr gewachsen – und im letzten Jahr fand die erste Ausgabe im Moods statt.
Dandara, Sie treten mit der Banda Tropikaos auf und interpretieren Karnevalsklassiker. Eine einmalige Sache?
Dandara Modesto:
Mindestens eine zweimalige Sache! Wir haben uns letztes Jahr für den Karneval im Moods zusammengetan – und es hat so gut funktioniert, dass wir es alle wieder wollten. Ich darf mit einer Reihe von hochtalentierten Musikern spielen.
Verraten Sie uns: Was wird zum Besten gegeben?
Dandara Modesto:
Nur Klassiker! Die Setlist ist ein Marathon des brasilianischen Karnevals. Wir reisen quer durch die Vielfalt dieses Brauchs und bringen verschiedene Regionen, Rhythmen und Klangfarben ein.
Auf der Website steht, dass Sie Marchinha, Samba Rock, Axé und Ijexá. Was ist Ijexá?Dandara Modesto: Ijexá ist ein Rhythmus und ein Genre, das aus der afro-brasilianischen Kultur stammt. Ursprünglich ist Ijexá ist ein Volk aus dem Yorubaland, das der religiösen Tradition des Candomblé angehört.

Es gibt wohl kaum eine Musik, die einen so unmittelbar bewegen kann wie der Samba. Was macht die Magie eines Sambakreises aus?
Coletivo Gira:
Der Sambakreis ist für uns ein Ritual, bei dem wir die Vorfahren und die afro-brasilianische Musik ehren. Alle, die spielen, haben ihre Rolle, genau wie das Publikum, das um sie herumsteht, mitsingt und klatscht. Die Magie entsteht durch die Synergie zwischen Musikern und Publikum, aber das kann man nur verstehen, wenn man den Samba lebt und sich ihm hingibt.
Das Collectivo Gira aus Lissabon ist noch jung. Was hat euch fünf zusammengebracht und was wollt ihr erreichen?
Coletivo Gira: Das Projekt ist relativ neu, ja. Ich glaube, was uns zusammengebracht hat, war nicht nur unsere Liebe zum Samba, sondern auch die Tatsache, dass wir Frauen in der Musikszene sind, was an sich schon eine Herausforderung ist. Wir haben verstanden, dass die Einheit der Frauen sehr stark ist und Barrieren überwindet. Unser Ziel ist es, weiterhin die Fahne des Samba und alle anderen Fahnen, die Teil unseres täglichen Kampfes sind, zu tragen.
 Was erwartet die Besucher:innen am Freitag im Moods?
Alyne Silva
: Wir feiern den brasilianischen Karneval auf Schweizer Boden – im Zeichen des Rhythmus und der verschiedenen Kulturen. Den Abend eröffnen über 50 Trommlerinnen und Trommler, die im Foyer des Schiffbaus ihre Trommeln erklingen lassen. Dann spielt das Quartett Rasta Fogo, das uns mit Rhythmen wie Forró und Coco die Wärme des brasilianischen Nordostens näherbringt. Anschliessend feiern wir mit dem Coletivo Gira eine traditionelle Roda de Samba im Zentrum des Moods, ehe die Band Tropkaios Karnevalsklassiker aus allen Ecken zum Besten gibt. Und zum Abschluss des Abends spielt Miss Trópica Baile Funk.
In Zürich hört man inzwischen an jeder Ecke Brasilianer*innen. Ist Zürich im Begriff eine brasilianische Stadt zu werden?
Dandara Modesto: Nehmt euch in Acht, wir sind überall! (lacht) Es gibt halt einfach sehr, sehr viele Brasilianer*innen und die sind gut verteilt auf der ganzen Welt. Dass die Präsenz hier wächst, ist schön: Es gibt hier mittlerweile viele Künstler*innen aus allen möglichen Ecken.

Welches Lied ist ein Muss beim Karneval?
Dandara Modesto:
«Faraó», komponiert von Luciano Gomes und unsterblich gemacht von der göttlichen Margareth Menezes.
Coletivo Gira: ⁠«Vou Festejar» von Beth Carvalho, «É Hoje», «Aquarela Brasileira», «História pra Ninar Gente Grande».
Interview: Adrian Schräder
Das Interview mit Dandara Modesto erschien am 15. Februar 2024 auf Kulturzüri.ch

Adalu Carneval im Moods