Bill Laurance – Bilder im Kopf

Jazz thing10-10-20243 min. Lesedauer

Bill Laurance hat bereits einiges ausprobiert. Er hat mit Morcheeba gearbeitet und war mit David Crosby im Studio. Seine Freundschaft mit Michael League war einer der Ausgangspunkte für die Gründung des Jazzkollektivs Snarky Puppy, mit dem er seit zwei Jahrzehnten um die Welt zieht. Er ist klassisch ausgebildeter Pianist und Komponist, arbeitet als Produzent, komponiert für Bigbands und Orchester, hat verschiedene eigene Bands und ist derzeit auch gerne als Solokünstler unterwegs.

Was andere an Impulsen schon mal überfordern würde, ist für den Londoner Anfangvierziger eine Frage der Neugier. Denn wenn er ein Motto für sich formulieren soll, dann klingt das in etwa so: «Musik ist für mich ein Willkommenheissen, ein Öffnen der Arme, und dann kann ich jemanden an Orte mitnehmen, die er nicht erwartet.»

Die Inspirationen holt er sich aus unterschiedlichen Richtungen, von den Kollegen und Kolleginnen, von den Alten und vor allem auch den Jungen: «Ich will ja Geschichten erzählen. Ich habe einen viereinhalb Jahre alten Sohn, und seine Fantasie haut mich immer wieder um. Er ist in einem Alter, wo alles noch möglich ist. An die Kraft erinnert zu werden, die Imagination entfesseln kann, inspiriert mich enorm. Es beeinflusst mich, und meine Aufgabe als Künstler ist es, die Menschen mit der Musik in eine andere Welt zu führen. Bei meinem letzten Konzeptalbum «Cables» habe ich das über viel Postproduktion versucht und über das immense Wachstum der Technologie nachgedacht: eine dunkle Platte, aber immer mit dem Element Hoffnung.»
Seitdem sind fünf Jahre und viele ungewöhnliche Ereignisse ins Land gegangen, einschliesslich einer Pandemie, die dystopischtechnoide Szenarien nicht mehr unwirklich wirken liess. Aber es gab eben auch optimistische Projekte, den anhaltenden Höhenflug von Snarky Puppy, Alben wie das Duo «Where You Wish You Were» mit Michael League, ausserdem erste Projekte mit dem jungen Streicherensemble The Untold Orchestra aus Manchester. Das Ensemble wirkte bei einer Bearbeitung von «Cables» mit, Laurance wiederum schloss sich mehreren Konzerten als Solist an. Schliesslich fand sich ein Etat, der eine gemeinsame Platte ermöglichte. Als das Projekt konkret wurde, merkte Laurance erst, wie wohl er sich mit dieser Kombination fühlte: «Ich bin ja klassisch ausgebildet, habe sogar einen Abschluss in klassischer Komposition gemacht. Und ich hatte immer das Gefühl, dass eine meiner Wurzeln in dieser Welt steckt. Es ist daher eine Art Rückkehr. Ausserdem war es für mich eine bewusste Entscheidung, ohne Rhythmusgruppe zu arbeiten. Man hat plötzlich viel mehr Raum, so ohne Becken. Wenn ich ein neues Programm schreibe, will ich ja einen anderen Weg gehen. Diesmal öffneten sich für mich viele Schleusen über die Frage, wie ich eine String Section als Rhythm Section einsetzen könnte. Am Ende machte mich dann viel mehr Melodisches am Klavier, und das Orchester kümmerte sich um die schweren Sachen.»

Das ist Understatement, denn auch die fliessende Leichtigkeit des Flügels ist eine hohe Kunst der Anschlagkultur und Gestaltungsnoblesse. Die Musik von «Bloom» entwickelt ausserdem ihre Spannung gerade aus dem Dialog von Piano und Orchester, von vertauschten Rollen, die den Streichern den Groove und dem Solisten die Linienführung zuweisen, wechselseitig und in der Entwicklung nicht immer vorhersehbar: «Diesmal stelle ich mir bei jeder Szene der Musik vor, wie ich die Seiten eines Kinderbuchs umblättere. Man wird an der Hand genommen und durch die Landschaften geführt. Ich habe viel an Organisches, an Natur und Wildnis gedacht, an turbulentes Wetter, weite Durchblicke. Ich wandere gerne, und solche Eindrücke prägen mich, wenn ich komponiere. Eine Melodie gehört immer dazu, ebenso Klarheit. Wenn es zu abstrakt wird, dann fühle ich mich verloren. Ich liebe die Idee des Träumens. Darum geht es auch in meinem Album: um die Fähigkeit zu träumen.» Bill Laurance hat diese Fantasien und Motivwanderungen komponiert und arrangiert. Joshua Poole half ihm, daraus Partituren zu machen, die das Untold Orchestra unter der Leitung von Rory Storm dann im September 2022 beeindruckend vital umgesetzt hat. Es ist ein neuer Weg für Bill Laurance, in der Schwebe zwischen den Erfahrungswelten Klassik, Improvisation, Imagination. Und es klingt, als könnte er noch eine Weile dort verweilen. «Meine Aufgabe als Künstler ist es, die Menschen mit der Musik in eine andere Welt zu führen.»

Ralf Dombrowski, jazzthing

Der Beitrag erschien in der Juni-August-Ausgabe von «jazzthing». Mehr Infos und Abos auf jazzthing.

Bill Laurance live im Moods