30 Jahre ZJO: Von der Rehearsal-Band zum Profi-Orchester

Susanne Loacker03-10-20258 min. Lesedauer

Das Zurich Jazz Orchestra wird 30 Jahre alt. Es hat nicht nur drei Jahrzehnte überdauert, sondern ist heute ein professionelles Orchester mit Ausstrahlung weit über die Landesgrenzen.

Gründervater des Zurich Jazz Orchestra ist André Bellmont. Der Musiker, Komponist und ZHdK-Dozent wollte eine Rehersal Band nach amerikanischem Vorbild. Der Rest ist Zürcher Musikgeschichte.Trompeter Daniel Schenker war in dieser frühen Anfangszeit dabei und erinnert sich: «Die Besetzung war damals schon klassisch, also fünf Saxophone, vier Posaunen, vier Trompeten, plus die Rhythmusgruppe mit Drums, Bass und Klavier. Es ist gar nicht so schwierig, 16 Leute zusammenzubringen, die Big-Band-Jazz spielen wollen», sagt Schenker: Es habe damals in der Schweiz sehr viele Amateur-Big-Bands gegeben und auch für Profi-Musiker sei die Gelegenheit, regelmässig in einem Jazz-Orchester spielen zu können, attraktiv gewesen. Ehrgeiz hatte man damals noch wenig, man probte sporadisch und öffentliche Auftritte waren selten. Das änderte sich 1999, als der Saxophonist David Regan die Leitung über-nahm: Unter seiner Ägide konnte die Big Band einmal wöchentlich im heute geschlossenen Club «Inkognito» spielen. Ein grosser Schritt in Richtung Verbindlichkeit. Daniel Schenker hatte das ZJO inzwischen wieder verlassen: «In den Neunziger- und Nullerjahren habe ich sehr viel in Kleinformationen gespielt, das hat mir Spass gemacht.» Ein Jahr später wurde der Grundstein für die Professionalität gelegt: Stefan Schlegel, der im Jahr 2000 die Leitung von Regan übernahm, tat dies unter der Bedingung, dass neben seiner musikali-schen Leitung auch eine ad ministrative Lei-tung eingeführt würde. Der Amtsantritt von Bettina Uhlmann als Intendantin des ZJO fiel mit einem weiteren Wechsel zusammen: Der Jazzclub «Moods» zügelte nach Zürich-West und das ZJO bekam die Gelegenheit, jeweils an den «Big Mondays» aufzutreten, im grössten Jazzclub der Schweiz.«Das gab der Band sehr viel Rückenwind», erinnert sich Uhlmann. Sie hielt dem Orchester nach Kräften den Rücken frei, indem sie sich um Verträge, Medienarbeit, Finanzen und Terminkalender kümmerte. Und bald um einen ersten Tonträger: 2003 übernahm Frank Sikora die Orchesterleitung, mit dem Auftrag, eine CD zu realisieren. «Frank war zwar nicht sehr lange Bandleader, aber er initiierte etwas, was uns heute noch sehr wichtig ist», erinnert sich Daniel Schenker, der der Band verbunden geblieben war und gelegentlich einsprang, wenn ein Trompeter fehlte: «Sikora hatte die Idee mit dem ’Volontariat’, das Studierenden der damaligen HMT, dem Vorgänger der heutigen ZHdK, die Möglichkeit gab, in einer professionellen Band mitzuspielen.» Für Schenker, selber Dozent an der ZHdK, ist das Einbinden von jungen Musikerinnen und Musikern ein wichtiger Auftrag. Nicht nur aus schierer Nächstenliebe: «Bei einer Band von der Grösse des ZJO ist es selten, dass für einen Gig alle Bandmitglieder frei sind.» Deshalb hat das ZJO eine immense Adresskartei von sogenannten Subs, also von Musikerinnen und Musikern, die einspringen können. Aber obwohl rund 200 Namen in diesem File stehen, kommt es vor, dass die Ersatz-Suche lang und aufwendig ist: «Es gibt zwar sehr viele Leute, die Big-Band-Jazz mögen. Aber das ZJO hat inzwischen musikalisch ein Niveau erreicht, das die Auswahl eingrenzt.» So kann es passieren, dass man in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich keinen Ersatztrompeter findet und einen Musiker aus Belgien kommen lassen muss. Oder dass man für eine Vertretung am Klavier 26 vergebliche Anfragen macht und dann bei der 27. endlich Glück hat.Was bleibt: Hörnlisalat und «Tatort»Das musikalische Niveau, das das Zurich Jazz Orchestra heute hat, ist nicht zuletzt Rainer Tempel zu verdanken. Der Deutsche übernahm die Leitung 2006 von Frank Sikora. Tempel schrieb nicht nur auf-wendige (und, so sagen manche Musiker, «richtig schwierige») Arrangements für das Orchester. In seine Zeit fielen auch einige Neuerungen, die dazu beitrugen, die Band zu etablieren und sie zu einer festen Grösse der Zürcher Kulturlandschaft zu machen: Der «open Soundcheck» wurde eingeführt, ein Kompositionswettbewerb für junge Komponistinnen und Komponisten, es fanden erste Konzerte in Deutschland und Österreich statt. Auch die erste Zusammenarbeit mit dem Theater Rigiblick, der Beginn einer langen und äusserst erfolgreichen Kooperation, fällt in die Zeit unter Rainer Tempel.Nach sieben Jahren zog Tempel weiter. Er hat viele Erinnerungen mitgenommen – schöne und weniger schöne. Zu den weniger schönen, aber dafür immerhin zumindest rückblickend lustigen, gehört die an eine kollektive Magenverstimmung durch einen hausgemachten Hörnlisalat, die die Band im Studio heimsuchte. Zu den schönen gehören das Planen in Spielzeiten, das Arbeiten im Team – «und ein viel grösseres Repertoire als zu Beginn meiner Zeit dort». Wie nachhaltig die Zeit in Zürich Rainer Tempel geprägt hat, zeigt die Tatsache, dass er den ’Tatort’ noch heute lieber auf SRF schaut, «weil ich die deutsche Sync nicht ertrage». Für die Suche nach einem neuen Bandleader wollte sich das ZJO genügend Zeit nehmen. Denn inzwischen waren die Ansprüche nicht nur mehr, sondern auch vielfältiger geworden. Während sich die Band einen guten Dirigenten mit einem Flair für Arrangements und einem möglichst grossen Netzwerk wünschte, zählten für das Management auch Zuverlässigkeit und Teamgeist. Zum Glück für das ZJO war Daniel Schenker bereit, als temporärer Bandleader einzuspringen: «Ich bin zwar kein grosser Dirigent, aber ich kann eine Probe leiten», sagt er – «und ich sah die Notwendigkeit».Der zweite Fuss im Westend – und ein TraumNach einem Jahr war der Neue gefunden: Der Deutsche Steffen Schorn, Saxophonist mit einem Faible für die tiefen Register, übernahm die Leitung. Auch mit diesem Wechsel ging eine neue Auftrittsmöglichkeit einher: Das ZJO bekam die Gelegenheit, regelmässig im hauseigenen Club der ZHdK, dem «Mehrspur». Doch es gab auch Rückschläge. Der herbste davon war, dass das ZJO seine Probelokalität verlor. Es war nun der undankbare Job von Bettina Uhlmann, wechselnden Unterschlupf zu finden, ein Materiallager zu organisieren und dafür zu sorgen, dass alles nötige Material rechtzeitig für Proben und immer häufiger werdende Konzerte zur rechten Zeit am rechten Ort war. Die administrative Leiterin der Big Band begann, sehr ernsthaft nachzudenken.Und zu Netzwerken: Bettina Uhlmann hatte ihr Stage-Coach-Büro zu jenem Zeitpunkt im sogar theater an der Josefstrasse. Was, wenn man das Haus nebenan, das Zwillingshaus gewissermassen, zu einem eigentlichen Jazzhaus umbauen könnte? Es klang alles sehr kühn, verwegen, utopisch. Und auch nicht prioritär, denn zwischenzeitlich musste sich das ZJO nach sechs Jahren mit Steffen Schorn wieder auf die Suche nach einem Bandleader machen. Abermals sprang Daniel Schenker ein, um für die nötige Ruhe während der Übergangszeit zu sorgen und der Suche den Druck zu nehmen. Einer der vier Kandidaten, die angefragt wurden, ob sie bereit wären, ein Probe-Konzert mit dem ZJO zu erarbeiten, war Ed Partyka. An die erste Probe kann er sich zwar nicht mehr erinnern, aber an das erste Konzert: «Beim ersten Stück des ersten Konzerts mit dem ZJO habe ich das Ende des Stücks völlig vermasselt, weil ich ein falsches Zeichen gab und falsch dirigierte. Manchmal machen Orchester Fehler, die das Publikum nicht bemerkt. Dies war jedoch nicht der Fall, denn es war für jeden im Saal offensichtlich, dass ich es vermasselt hatte. Ich bin sehr dankbar, dass das Orchester mir verzeihen konnte, aber was für ein Start in meine Tätigkeit beim ZJO!» Noch heute plagen Partyka Albträume von diesem Konzert.Doch dann kam es gut. Der gebürtige Amerikaner ist der Inbegriff eines vernetzten Musikers: «Wenn man an einer Probe den Namen eines bekannten Komponisten oder Musikers erwähnte, kam es regelmässig vor, dass Ed sagte: ’Mit dem habe ich dort und dort zusammen gespielt, mit der habe ich diese und diese Aufnahme gemacht’», sagt Daniel Schenker, der, weil Partyka nicht permanent in Zürich ist, heute die Funktion eines musikalischen Co-Leiters hat. Partyka hat, organisatorisch unterstützt von Bettina Uhlmann, unzählige Gäste nach Zürich geholt: Nikki Iles war hier, Robben Ford, Ola Onabulé oder Joseph Bowie. Das ist für die Musikerinnen und Musiker des ZJO ein Quantensprung. Doch Partyka sagt, auch ihm bringe die Zusammenarbeit viel: «Als Musiker profitiere ich davon, dass ich für ein hervorragendes Orchester arrangieren und komponieren kann, und das ZJO unterstützt meine Ideen für Projekte, die sonst kaum zu realisieren wären.» Die Mitglieder des Orchesters, so Partyka, unterstützten ihn auch auf psychologischer Ebene: «Zum Beispiel ist der Soundcheck vor dem Konzert für den Dirigenten oft die stressigste Zeit einer Produktion. Wir arbeiten immer gegen die Uhr, es gibt manchmal eine ziemlich lange Liste von Aufgaben, die erledigt werden müssen, und wir haben das gesamte technische Team (Ton, Licht, Live-Stream-Kamera und Tontechnik) sowie das Barpersonal, das sich ebenfalls auf die Show vorbereitet. Gelegentlich machen mich diese Situationen ziemlich gestresst und die Mitglieder des ZJO haben eine wunderbare Art, mich wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen und diese angespannten Situationen zu entschärfen. Dies ist das erste Orchester, mit dem ich zusammengearbeitet habe, das mich auf diese Weise so stark unterstützt, und dafür bin ich sehr dankbar.»Der Traum wird wahrZum 30. Geburtstag wünscht Ed Partyka dem ZJO, dass sich das Orchester sowohl qualitativ als auch künstlerisch weiterentwickelt. Der wohl wichtigste Grund-stein dafür ist gelegt: Das ZJO hat ein Jazz-haus. Unter der nimmermüden Ägide von Bettina Uhlmann und dank der Unterstützung der Dr. Stephan à Porta-Stiftung ist das Haus an der Heinrichstrasse 69 zu einem Proberaum, Treffpunkt und Materiallager für das Zurich Jazz Orchestra geworden. Ed Partyka sagt: «Jetzt, da wir ein Zuhause haben, hoffe ich, dass das Orchester Mittel findet, um noch mehr auftreten zu können. Ein mögliches langfristiges Ziel für das Orchester könnte darin bestehen, genügend Mittel zu beschaffen, um das ZJO zu einem vollzeit fest angestellten Orchester zu machen, wie es bei den vielen Sinfonieorchestern in der Schweiz der Fall ist. Eine Weltstadt wie Zürich sollte ein professionelles Jazzorchester haben.»
Susanne Loacker, jazz'n'more

Dieser Artikel erschien in der März/April 2025-Ausgabe des Jazz'n'more-Magazins. Mehr Infos & Abos: jazznmore.ch

Das ZJO im Moods

  • Tribute to Bill Holman

    • Zurich Jazz Orchestra

      JazzBig Band Jazz
    • Zurich Jazz Orchestra feat. Theo Bleckmann

      JazzBig Band JazzVocal Jazz
  • Album Release «Neat Little Songs»

    • Zurich Jazz Orchestra feat. Thomas Gansch

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